Albi - Mende (189km)

Die Tour ist noch lange nicht entschieden. Wie man heute gesehen hat, als einige Fahrer im hinteren Teil des Gesamtklassements noch mal ein paar weitere Plätze nach unten gerutscht sind. Im Gegenteil, jetzt fängt die Tour erst richtig an. Auf einer einzelnen Bergetappe kann man an einem schlechten Tag alles verlieren. Jan wird kämpfen bis zum Schluss, jeden Tag, auch an den Ruhetagen, selbst wenn es keine Ruhetage mehr gibt. Armstrong ist auch nur ein Mensch. Irgendwann schwächelt auch er mal, irgendwann hat auch er mal seinen jour sans, wenn auch möglicherweise erst nach der Tour, mit Sheryl Crow im Bett. Dann muss das nur noch mal jemand Jan mitteilen, damit der das auch merkt.

Gute Nachricht für alle Jan-Ullrich-Fans, die den Toursieg schon abgeschrieben haben. Hier in der Ukraine, einer Nation mit überproportional vielen ausgewiesenen Radsportexperten, hält man große Stücke auf unser deutsches Wunderkind. Ich konnte schon mehrere Menschen auf der Straße sprechen, die ihm eine einzigartige Karriere prophezeihen und in ihm in den nächsten Jahren einen heißen Kandidaten für eine Podiumsplatzierung bei der Tour de France sehen. Ich würde, und ich bin nun wahrlich immer ausgesprochen kritisch mit meinem Jan gewesen, sogar soweit gehen, den Toursieg noch für diese Woche zu prognostizieren. Schließlich hat heute Guerrini gewonnen, ein mittlerweile fast 40-Jähriger, also fast Rentner. Und wenn Amrstrong seinen Etappensieg nicht hat verhindern können, wie übrigens schon 1999 in Alpe d'Huez nicht, dann muß es um dessen körperliche Konstitution wahrlich schlecht bestellt sein. Meine Theorie geht ohnehin seit 2000 in die Richtung, daß Jan Ullrich blufft, jedes Jahr, um von Armstrong abgeschrieben zu werden. Bei dessen Abschiedstour bekommt er seine Naivität dann zurückgezahlt, also morgen, und zwar genau die Zeit, die Ullrich in den vielen Duellen zuvor insgesamt auf den Ami verloren hat und noch eine Sekunde mehr, damit er als ewiger Zweiter abtritt.

Saint-Etienne - Saint-Etienne (55 km Einzelzeitfahren)

Ich fand Lance Armstrongs heutige Vorstellung äußerst schwach und enttäuschend. Gerade mal 46,4 km/h auf nur 55 km. Da hat Jan schon deutlich schnellere Zeitfahren hingelegt, und ich würde sagen, jeder halbwegs fitte Hobbyradler hätte die Zeit locker unterboten. Daß Armstrong dennoch heute gewinnen durfte, liegt allein daran, dass ihm das Peleton in einer konzertierten Aktion heute nochmal ein Abschiedsgeschenk gemacht hat, weil es in Amerika nämlich voll peinlich ist und nicht verstanden wird, wie man die Tour gewinnen kann, ohne einen einzigen Etappensieg errungen zu haben. Das ist dort genauso peinlich wie ein zweiter Platz, ohne bei allen Etappen Zweiter gewesen zu sein oder ein letzter Platz, ohne bei allen Etappen Letzter gewesen zu sein. Ullrich, ganz Demokrat und Gentleman, hat sich dem Votum der anderen Fahrer gebeugt und in wahrer Grossmut auf seinen insgesamt achten Etappensieg seit 1996 verzichtet. Ich finde das toll. Das ist viel wichtiger, als sieben Mal die Tour gewonnen zu haben. Und das sage ich jetzt ganz unparteiisch.