Chaussee der Enthusiasten

lachende Kinder


Die schönsten Schriftsteller Berlins erzählen was

Stephan ZeisigRobert NaumannDanBohniVolker StrübingJochen Schmidt

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karikatur

Diese Karikatur befand sich auf
dem Herrenklo des RAW-Ambulatoriums und stellte angeblich mich dar.


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Ein paar Texte über meine Studentenjobs




Bohni

Wer suchet, der findet



Wenn Weihnachten das Fest der Kinder ist, dann ist Ostern zweifellos das Fest der Eltern. An diesem Tag können sie es ihren Bälgern mal so richtig heimzahlen. Und meine Eltern zahlten heim. Ich weiß nicht, was ich schlimmes verbrochen hatte, aber von frühester Kindheit an schickten mich meine Eltern auf einen schwierigen Parcours, der den Rest des Jahres einfach nur unser Garten war. Such-die-Eier nannten sie die Mission Impossible, die ich zu bewältigen hatte. Kein Versteck war ihnen fies genug. Sie versteckten orangene Eier in orangenen Krokussen. Sie versteckten Eier in Bäumen, auf Bäumen, in dornigen Rosensträuchern, in Vogelnestern, in Dachrinnen, im Gully. Manchmal verbuddelten sie sogar Eier im Buddelkasten, manchmal im Komposthaufen. Ich durfte nicht eher aufhören, bis ich alle Eiern gefunden hatte.

Mit den Jahren schärften sich meine Sinne. Ich kannte ihre Methode, ihren üblen Charakter. Ich lernte zu denken wie sie. Wo würde ich nie suchen? Wo würde niemand je suchen? Wo ist es am gefährlichsten zu suchen? Im Schornstein, unter dem Auto? Alles war möglich. Das Unwahrscheinlichste am wahrscheinlichsten. Doch als sie merkten, wie ich von Jahr zu Jahr versierter wurde, mich in ihre kranken Hirne hineinzudenken, da änderten sie ihre Strategie. Sie versteckten nun die Eier an einfachen Stellen. Dort, wo normale Eltern normalen Kindern ein Erfolgserlebnis gönnen. An der Ecke vom Haus, hinter einem Stuhl, ja, sogar mitten auf dem Rasen, ohne jede Tarnung. Und ich lief daran vorbei. Ich lief an Eiern vorbei, die offen am Wegesrand lagen oder einfach so auf dem Gartentisch. Natürlich, denn mein Hirn hatte gelernt, verquer zu denken. Ich war kein normales Kind mehr, dass wie ein Kind dachte, ich dachte wie ein Geisteskranker. Ich ging mit Leiter und Spaten auf Eiersuche. Ich benutzte Werkzeug. Vielleicht war es das, was meine Eltern erreichen wollten. Doch nun durchkreuzten sie meine alte Denkweise. Ich lernte, das Unerwartete zu erwarten. Und in den folgenden Jahren kehrten meine alten Sucherfolge zurück, bis die dritte Phase einsetzte. Sie war die gemeinste, fieseste und boshafteste von allen. In ihr ging es nicht mehr um suchen und finden. In ihr ging es um Verhöhnung, Verspottung, Demütigung. Meine Eltern versteckten nun nicht mehr, sie stellten Fallen, legten falsche Fährten, foppten und fintierten. Plötzlich lagen Blumentöpfe verkehrtherum auf dem Boden, bildeten kopfstehende Eimer scheinbare Verstecke, waren Schubkarren, die gestern noch ordentlich in einer Ecke standen, auf seltsame Weise an ungewöhnlichen Orten platziert. Der ganze Garten war voller Versteckangebote, die einem förmlich anschrien: „Hier liegt ein Ei“, Harken schienen wie Wegweiser in Richtungen zu deuten, alles war Hinweis, alles war Symbol. Doch jedes Mal, wenn ich ein offensichtliches Versteck entdeckte, Blumentöpfe lüftete und Schubkarren beiseite stellte, erntete ich nichts als höhnisches Gelächter und böse Sprüche. Der Höhepunkt dieses Spießrutenlaufs war ein Novum in der Ostergeschichte, ein Schelmenstreich der besonderen Art, ein unbemaltes, weißes Ei, versteckt unter weißen Eierschalen auf dem stinkenden Komposthaufen in der Ecke des Gartens.

Ich fragte meine Eltern, warum ich all das erdulden musste, all die Demütigungen, all die Jahre, und sie sagten, ich würde dadurch suchen lernen. Das ganze Leben sei eine einzige Suche, und ich wäre mit den Jahren zu einem hervorragenden Eiersucher herangewachsen. Und sie hatten recht. Ich war vielleicht der beste Eiersucher, den die Welt je gesehen hat. Ich kannte alle Verstecke, alle Tricks, alle Finten, ich fand Eier an den ungewöhnlichsten Plätzen. Ich fand Eier an Plätzen, wo gar keine versteckt wurden. Ich fand Eier, die gar nicht existieren konnten. Ich fand jedes Ei früher oder später. Ich war kein Eiersucher mehr, ich war ein Eierfinder. Und doch hatten meine Eltern unrecht, denn fürs Leben hatte ich nichts gelernt. Ich war zu spezialisiert auf Eier. Im täglichen Leben fand ich gar nichts. Meine Hausschuhe nicht, meinen Turnbeutel nicht, die Schere, den Kuli, die Hose und auch die Jacke nicht. Ich fand nicht einmal die Milch, wenn sie im Kühlschrank direkt vor meiner Nase stand. Ich kann mich nicht erinnern, je etwas gefunden zu haben, außer Eier. Am meisten suchte ich meine Hausschuhe. Einmal zu Ostern versteckte meine Mutter ein Ei in meinen Hausschuhen. Ich habe es erst Wochen später gefunden. Es war sicher das beste Versteck, das sie sich je ausgedacht hat.

© Bohni