20.-26.9.05
Vorwort, in dem Stephan die wahren Gründe für seine
Emigration offenbart
27.9.-3.10.05
1. Kapitel, in dem Stephan bei der Wohnungs-Suche einige
gravierende Fehler begeht.
4.10.-10.10.05
2. Kapitel, in dem Stephan die Fehler der vorherigen Woche
auszumerzen versucht und dabei auf interessante Ausländerinnen
trifft.
11.10.-17.10.05
3. Kapitel, in dem Stephan die Deutschen- Freundlichkeit
der Franzmänner lobt.
18.10.-31.10.05
4. Kapitel, in dem Stephan sich vergeblich bemüht, seine Berührungsängste
vor Gothik-Musik und netten Frauen zu überwinden.
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Fünftes
Kapitel: 1. November – 7. November
Auch diesmal stelle ich mein Tagebuch wieder mit einiger Verspätung
ins Netz. Auch diesmal gibt es wieder triftige Gründe persönlicher
Natur. Ich habe gelogen. Seit meiner Ankunft habe ich nichts als die
Unwahrheit geschrieben. Wer meine letzten Wochen verfolgt hat,
konnte den Eindruck gewinnen, oder besser: er musste den Eindruck
gewinnen, für mich sei der Aufenthalt hier in Lille eine einzige
Erfolgsstory, als sei mein Weg gepflastert von schönen Frauen, überschwänglichem
Zuspruch in der Schule, tiefen und aufrichtigen Freundschaften,
blendender Gesundheit, politischer Anerkennung und anregenden
kulturellen Ereignissen. Doch von all diesen Insignien puren Glücks
bin ich meilenweit entfernt. Nichts von dem trifft zu. Ich kann mich
nicht erinnern, jemals in meinem Leben so viele Rückschläge, so
viel Zurückweisung, so viele Misserfolge erlebt, so reine
Einsamkeit durchlebt zu haben.
Das
ging umso stärker an meine Substanz, da ich es aus Pau
gewohnt war, dass man mir nur Zuneigung entgegenbrachte. Mehr noch,
ich beschönige sicherlich nichts, wenn ich behaupte, dass es Gott
in meinem ganzen bisherigen Leben durchweg gut mit mir meinte. Ich
hatte sogar schon des Öfteren ein schlechtes Gewissen, weil mir
alles in den Schoß fiel. Wieso bekam ich immer alles, nach dem ich
begehrte, wieso spannte immer ich anderen die Freundin aus, wieso
hatte ich das beste Abitur meiner Schule seit Jahren, obgleich ich
dafür keinen Finger krumm gemacht hatte, wieso erfreute ich mich
durchweg blendender Gesundheit, obwohl mein ausschweifender
Lebensstil eigentlich Raubbau an meinem Körper war? Wieso reüssierte
ich auf ganzer Linie, in allen Bereichen, ohne auch nur einmal an
meine Grenzen gehen zu müssen, und war dabei dennoch so eine
bescheidene, interessante und ambivalente Persönlichkeit?
Manchmal
wurde mir mein nicht enden wollender Triumphzug selbst unheimlich
und ich wünschte mir, wenigstens einmal am bitteren Odeur des
Scheiterns zu schnuppern, einmal vom fauligen Apfel der Niederlage
zu kosten, einmal wenigstens nur eine Drei in der in der Schule zu
bekommen, einmal in der deprimierenden Lage zu sein, dass man von
einem Mädchen zurückgewiesen wird. Doch selbst dieses Begehren
wurde mir von Gott erfüllt. Doch keine Glückssträhne währt ewig.
Selbst für mich nicht. Ich hätte es wissen müssen. Dann wäre ich
besser auf diese Situation vorbereitet gewesen. Irgendwann kommt die
Retourkutsche, irgendwann ist Zahltag. Und mein Zahltag begann am
20. September.
Eigentlich
schon kurz davor. Es stimmte gar nicht, dass ich mit Melanie Schluss
gemacht habe. Sie hat mich verlassen, für einen 44jährigen
Chefarzt aus der Charité, einen Kokser, wie übrigens die meisten
Ärzte Kokser sind, das ist nur nicht bekannt. Würde ich wissen,
wie er hieße, ich würde seinen Namen hier nennen. Um ein bisschen
Abstand zu haben, um nicht ständig mit Orten und Personen
konfrontiert zu sein, die mir Melanie in Erinnerung riefen,
entschied ich mich spontan, mein Referendariat, für das ich bereits
einen Platz am Rückert-Gymnasium in Schöneberg hatte, doch nicht
anzutreten und für eine Weile nach Frankreich zu gehen.
Mein
im
zweiten Kapitel beschriebener Auszug aus der MAJT war ebenfalls
weniger ruhmreich, als ich es dort dargestellt habe. Nicht wegen zu
vieler Freunde bin ich gegangen. Ich musste gehen, weil ich gegen
die, zugegeben, doch ziemlich strenge Hausordnung des Wohnheims
verstoßen hatte. Ich war vom Nachtwächter nach 21 Uhr mit
Herrenbesuch auf meinem Zimmer erwischt worden. Zu dieser Zeit
durfte man aber niemandem mehr auf seinem Zimmer empfangen. Ist mir
eigentlich ziemlich unangenehm, dies zu erzählen. Mir wäre es auch
lieber gewesen, man hätte mich wenigstens wegen einer Schickse
rausgeschmissen. Dabei hatte ich mit Karim nicht mal wirklich
richtigen Sex gehabt, nur gekuschelt. Unter normalen Umständen hätte
ich mich gar nicht auf ihn eingelassen. Aber in diesem Moment war
ich dankbar über jedes bisschen an menschlicher Wärme, die ich
empfangen durfte.
Noch
heute gehe ich, wenn ich mich besonders einsam fühle, in das
restaurant universitaire der Catho. Um zwölf ist dort die Hölle
los. In der Schlange wird von vorne und hinten gedrängelt. Einmal
standen hinter mir zwei Senegalesinnen, von denen die eine, während
sie ins Gespräch mit der anderen vertieft war, mir ständig
unbewusst mit ihrem Ellenbogen in die Hüfte gestoßen hat. Ich habe
diesen kostbaren und seltenen Moment menschlicher Wärme sehr
genossen.
Menschlich
wird es demnächst mit ziemlicher Sicherheit auch nicht besser. Ich
muss nämlich zum Ende des Monats aus der WG, der letzten Bastion
sozialer Kontaktmöglichkeiten für mich. Meine Mitbewohner haben
unglücklicherweise das
vierte Kapitel meines Tagebuchs gelesen, in denen ich sie ihrer
Meinung nach etwas zu kritisch gezeichnet habe, und darauf
entschieden, dass ich zu gehen haben. Die Malheurs geben sich
wirklich die Klinke in die Hand. Vor den Ferien konnte ich mir schon
mein Entlassungsschreiben vom Lycée Fénelon abholen. Ich hatte dem
Direktor nicht in die Augen geschaut, als ich in dessen Beisein mit
seiner Stellvertreterin über ein Problem mit meinem Stundenplan
sprach. In Frankreich wird sehr viel Wert auf die Respektierung von
Hierarchien gelegt. Ich war schon ziemlich geschockt. Sicherlich,
mit den meisten Schülern kam ich überhaupt nicht klar und sie
tanzten mir in meinen Stunden praktisch auf der Nase herum, statt
die Aufgaben zu machen, die ich ihnen aufgetragen hatte. Aber
immerhin gab es ein oder zwei, die mich mochten. Vielleicht hätte
man mal etwas zusammen trinken gehen können.
Ich
hoffe nur, bald irgendeine Unterkunft zu finden, eine, die so gut
geheizt ist wie die WG. Denn ich habe keine Lust, irgendwo pennen zu
müssen. Und ich kann es mir bei meiner anfälligen Gesundheit auch
nicht leisten, mich der zunehmend einsetzenden Kälte auszusetzen.
Beim examen médical war der Arzt sehr beunruhigt über den Schleim,
den ich immer aushuste. Er hat mich sofort an einen Spezialisten überwiesen.
Bin aber nicht hingegangen, weil ich mich damit nicht auch noch
belasten wollte. Ich leide schon genug unter meinem hier plötzlich
auftretenden Haarausfall. Bis zur Glatze ist es nicht mehr weit.
Dabei deutete bis vor kurzem nichts darauf hin. Im Gegenteil, mein
Haar war voller als das meiner Freundin Melanie. Ich hatte sogar
mehrmals Angebote als Model. Und nun muss ich mich wohl damit
abfinden, bald nur noch der Spott meiner Mitmenschen zu sein. Ich,
der ich immer als Verkörperung des Schönlings galt, wenn auch
nicht als ein geleckter, bald nur noch das Gegenteil. Wenn ich heute
so im Spiegel mein zunehmend kahleres Antlitz betrachte, muss ich
sagen, dass für mich die Haare offensichtlich sehr wichtig waren.
Sie haben alles Unvorteilhafte kaschiert. Mit diesem
Schicksalsschlag im Gepäck wäre für mich die Nachricht, dass ich
auch unter einer unheilbaren Lungenkrankheit leide, nicht mehr zu
verkraften. Darum habe ich mich entschieden, diesem Schleim beim
Husten nicht weiter nachzugehen.
Vielmehr
bitte ich meine Leser aufrichtig dafür um Entschuldigung, sie so
lange belogen zu haben. Ich bitte sie um Verständnis dafür, dass
es mir so schwer fiel, bzw. lange Zeit unmöglich war, mich den
Tatsachen zu stellen, meinem eigenen Niedergang. Vielleicht stimmt
es sie nachsichtiger, wenn sie sich klarmachen, dass ich mich in
erster Linie selbst betrogen habe. Wäre ich vorher nicht King
gewesen, dann wäre mein Blick nicht so vernebelt, dann hätte ich
mir das Ende dieses Traums, der mein Leben war, schneller
eingestanden.
Fortan
werde ich auch nicht mehr über mich schreiben. So ein hässliches
und uninteressantes Individuum, wie ich es mittlerweile geworden
bin, verdient es einfach nicht, im Mittelpunkt zu stehen und sei es
auch nur der Mittelpunkt eines überflüssigen Blogs im Internet.
Zukünftig beschränke ich mich ganz auf meine Rolle als Beobachter
und werde nur noch über interessante Menschen schreiben, mit denen
man sich identifizieren kann, weil sie was drauf haben, was erleben
oder wenigstens gut aussehen. Lasst Euch nicht verwirren, wenn die
Beiträge dennoch in der Ich-Form verfasst werden sollten. Das bin
nicht ich. Das bin doch nicht nur ich. Kennt ihr das auch?
Version française
Cinquième chapitre: 1er novembre – 7 octobre
La semaine dernière, je n’ai pratiquement rien fait. Mais, je
n’ai rien à me reprocher. Effectivement, j’avais même prévu
d’aller voir deux concerts, d’abord au festival les Inrocks où
il y avait Kaiser Chiefs, Hard Fi, The Futureheads et Maximo Park et
ensuite au concert de Luke et Déportivo. Que je n’y sois
finalement pas allé n’est pas de ma faute mais celle des émeutiers.
Pour être clair, je n’ai rien contre la violence. Si elle est
justifiée et atteint ses buts, tant mieux. Surtout quand elle
touche des voitures, je suis tout à fait d’accord, comme je
n’ai pas de bagnole moi-même. J’aurais même envie de m’y mêler.
Malheureusement, je dois toujours préparer mes cours du Lycée.
Alors, j’en ai pas le temps.
En revanche, je ne peux pas soutenir des sévices de pure caractère
criminel tels que ceux que l’on a vécu ces derniers jours partout
en France. Ces actes ne témoignent pas de la moindre visée
politique. Ce sont des gosses qui n’ont à peine 14 ans et qui
n’ont aucune conscience critique. Ce que je ne supporte pas non
plus, c’est lorsque les braves gens en subissent les conséquences.
Moi, j’en fait partie. Je vais chaque jour au travail, je ne fais
de mal à personne, je ne frappe pas ma copine, je ne vote pas pour
les extrèmes et un jour, je payerai peut-être aussi des impôts.
Certes, je serais contribuable en Allemagne. Mais à travers le
budget de l’Union Européenne, la France et les émeutiers en
profiterons aussi. Donc, cette racaille aurait toute raisons de
faire en sorte que je ne subisse pas les effets pénibles de leur
comportement. Mais apparemment, ils s’en foutent.
C’est pourquoi il y a maintenant, depuis quelques jours, un couvre
feu à Lille, dont je suis la première victime. Ce couvre feu
s’applique à partir de 20 heures et concerne des jeunes jusqu’à
l’âge de 18 ans et des Allemands jusqu’a l’âge de 28. Des
Allemands, comme des assistants pour l’allemand, employés à
d’autres écoles sur Lille, ont été impliqués dans les
violences nocturnes. Un parmi eux avait même 28 ans et dirigeait un
groupe d’adolescants, peut-être même ses propres élèves. Ce
couvre feu m’êmpêche de sortir et aller à mes concert. Je
pourraît y aller quand même en espèrant passer pour un Français.
Mais pendant la nuit, j’ai tellement peur d’être violé par
quelqu’un derrière un arbre que je cours toujours quand je suis
dans la rue. Alors, en sortant je risquerais de passer pour un émeutier
et d’être abattu par la police. Donc, j’ai préféré rester à
la maison.
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